Pressemitteilungen

Grafi10 heute morgen geräumt

Friedliche und beliebte Hausbesetzung gewaltsam beendet

Die Polizei räumte heute, am 22.07., um 05:00 morgens das besetzte Haus in der Markgrafenstrasse 10. Ein unverhältnismässiges Polizeiaufgebot von 40 Einsatzwägen räumte 14 Menschen, die keine Gegenwehr leisteten, aus dem Haus. Sie nahmen sechs Besetzer*innen in Gewahrsam, darunter zwei Minderjährige. Dort verweigerten die Beamten ihnen ihre Grundrechte. Beobachter*innen und Anwohner*innen wurden von der Polizei abgehalten, das Geschehen zu dokumentieren. Solidarische Gemeinderäte kündigten eine Diskussion um Hausbesetzung und Räumung in der morgigen Gemeinderatssitzung an. Das Grafi10-Kollektiv ruft zu einer spontanen Demonstration heute um 18 Uhr an der Marktstaette auf.

10 Jahre Leerstand und Verfall

Vergeblich versuchte die Stadt, den Besitzer des bereits seit 10 Jahren leerstehenden Hauses durch Bussgelder und versuchter Zwangsversteigerung zur Verantwortung zu ziehen. Dieser sei nach Angaben des Oberburgermeisters Uli Burchardt “als Person schwer zuganglich”, hatte es allerdings zum Zeitpunkt der Raeumung doch in die Stadt geschafft. Erst durch die Hausbesetzung brachten die AktivistInnen wieder neues Leben in das verwahrloste Gebaeude: Sowohl das Abpumpen des stehenden Wassers im Untergeschoss, das in die benachbarten Keller drang, als auch die Freilegung des zugewucherten Gartens waren schon lange unerfullte Anliegen der AnwohnerInnen.

Grosse Unterstuetzung

Die Versuche der BesetzerInnen, mit dem Besitzer Kontakt aufzunehmen und eine Einigung zu erzielen, blieben unbeantwortet. Stattdessen besuchten einige LokalpolitikerInnen, darunter der Gemeinderat Normen Kuettner und Burgermeisterkanditat Andreas Hennemann, die BesetzerInnen. Obwohl die Polizei seit dem ersten Tag ständig präsent war und die AktivistInnen schikanierte, behauptete sie, wie auch OB Burchardt, es solle vorerst nicht zu einer Räumung kommen.

Zahlreiche solidarische NachbarInnen und andere KonstanzerInnen unterstuetzten das Projekt mit Essens- und Sachspenden. Nicht nur in der gesamten Stadt , sondern auch in der bundesweiten Presse stiess die Hausbesetzung auf positive Resonanz. „Während des Brunches, der Führungen durchs Haus und der Küche für alle auf Spendenbasis konnten wir uns sowohl mit AnwohnerInnen als auch mit PolitikerInnen, JournalistInnen und im Allgemeinen solidarischen Menschen austauschen und vernetzen.“, so Lisa, eine Hausbesetzerin.

Kritik an der Konstanzer Wohnraumpolitik

Ziel der Aktion war es, gegen die Wohnungsnot, die zu hohen Mieten und den Leerstand in dieser Stadt zu protestieren. Konstanz gehort zu den teuersten Staedten Deutschlands, Studierende zahlen sogar die hoechsten Mieten bundesweit. Darueber hinaus wollten die BesetzerInnen einen Gegenentwurf zum klassischen Wohnen praesentieren, indem sie ein Begegnungszentrum mit einem selbstverwaltetem Cafe und einem Infoladen für alle KonstanzerInnen schaffen wollten.

Brutales Vorgehen der Polizei

Trotz der grossen Solidaritaetswelle wurde die Markgrafenstrasse 10 heute Morgen geräumt. Ein sehr grosses Polizeiaufgebot von 40 Einsatzwägen fuehrte die Raeumung unter Einsatz einer Drohne durch. Eine Zeugin berichtete von der ausgesprochenen Enttaeuschung eines Polizisten ueber die Friedfertigkeit der BesetzerInnen. AnwohnerInnen durften stundenlang ihre Häuser nicht verlassen: weil sie das Geschehen filmten, fotografierte die Polizei sowohl ihre Briefkaesten mit Namensschildern, als auch ihre Fenster und nahm teilweise Personalien auf. BeobachterInnen, die sich ein Bild von dem Geschehen machen wollten, wurden ebenfalls von der Polizei blockiert. Einem Augenzeugen drohten Beamte sogar mit der Beschlagnahmung seines Handys.

Den Festgenommenen wurden in Gewahrsam die Grundrechte auf zwei Telefonate und einen Anwalt verweigert, ausserdem erhielten sie weiträumige Platzverweise. Dabei wurde ihnen teilweise kein Lageplan oder genauere Informationen ausgehändigt. Solidarische BeobachterInnen auf dem Benediktinerplatz wurden von der Polizei gekesselt und kontrolliert. “Ein solch uebertriebenes, militarisiertes Polizeiaufgebot in Vollmontur steht im Kontrast mit all dem positiven Zuspruch, den wir in diesen Tagen erfahren haben und ist absolut nicht hinzunehmen”, so Paul, ein anderer Hausbesetzer.

Der Kampf geht weiter

Gegen die Raeumung und die konstanzer Wohnraumpolitik findet heute eine spontane Demonstration um 18 Uhr an der Marktstaette statt.
Das Grafi10-Kollektiv fordert weiterhin einen Wandel der staedtischen Wohnungssituation und werde ihn, “wenn noetig, selbst gestalten”. Die Gruppe fordert den Gemeinderrat dazu auf, sich mit den aktuellen Mietverhältnissen in Konstanz auseinanderzusetzen und auf eine Lösung hinzuarbeiten, die keinen Menschen aufgrund der ökonomischen Situation oder anderer struktureller Benachteiligungen ausschließe. “Desweiteren fordern wir die Legalisierung von Besetzungen und Straffreiheit für alle Menschen, welche im Zusammenhang mit diesen kriminalisiert werden! Wir verurteilen die unverhältnismäßige Polizeipräsenz sowie die Räumung der Grafi10. Solidarität mit allen alternativen, subkulturellen und autonomen Hausprojekten und Besetzungen über Nationalgrenzen hinweg. Von CHAZ in Seattle, über die Liebig34 in Berlin hinzu ZAD in Notre-Dame-des-Landes! Wir bleiben Alle!”, so das Kollektiv.

 

 

 

Statement zum Besuch des OB Burchardt vom 20.7.2020

Die gestrigen Nachmittagsstunden bescherten uns hohen Besuch: den Oberbürgermeister Uli Burchardt (CDU) und Frau Risse, die Leiterin des Bürgeramtes. Sie machten sich persönlich ein Bild von der Grafi10 und traten mit uns in den Dialog über unsere Forderungen zur Leerstandsproblematik.

Schnell verwies Burchardt auf die Konstanzer Zweckentfremdungspolitik, die – wir er selbst zugeben musste – mehr ein Papiertiger als eine nachhaltige Lösung für die herrschende Wohnungsnot ist. Der Fall der Grafi10 macht das beispielhaft deutlich.

Diese Zweckentfremdungssatzung beschloss der Konstanzer Gemeinderat ursprünglich 2015 mit einer Mehrheit von nur einer Stimme – damals übrigens gegen seinen Willen. Sie basiert auf dem landesweiten Zweckentfremdungsgesetz und besagt, das vorhandener Wohnraum nicht ohne ausdrückliche Genehmigung dem Wohnungsmarkt entzogen werden darf. Darunter fallen beliebig langer Leerstand, anderweitige Verwendungen (Büroräume, Ferienwohnungen, etc.) oder Beseitigungen.

Nach 10 Jahren von gescheiterten Versuchen, den Eigentümer über den Rechtsweg (Bußgelder und Versuchen der Zwangsversteigerungen) zur Verantwortung zu ziehen plane die Stadt, das Haus zu kaufen. Ausgerechnet die Markgrafenstraße 10 bilde einen Sonderfall, denn der Eigentümer sei „als Person schwer zugänglich“. Unsere Hausbesetzung machte das Thema innerhalb weniger Tage zum Stadtgespräch und zeigt, dass sich endlich etwas verändern kann, wenn wir uns gemeinsam aktiv weigern, solche Zustände länger hinzunehmen.

Eine Duldung der Grafi10 könne er jedoch „nicht versprechen“, wich er unseren Nachfragen aus. Die Stadt fühle sich der Einhaltung „energetischer Standards“ verpflichtet. Was erst einmal nach Modernisierung, Umweltschutz und niedrigen Heizkosten klingt, ernüchtert bundesweit immer wieder mit damit einhergehenden, stolzen Mieterhöhungen – Stichwort Gentrifizierung. Das klingt wohl kaum nach dem bezahlbaren Wohnraum, vor allem für junge Familien, mit denen Burchardt für seinen Wahlkampf 2020 wirbt. Jahrzehntelange Erfahrungen mit dem Wohnungsmarkt in Konstanz und der gesamten BRD zeigen leider, dass wir nicht mehr auf solche Lösungen vertrauen können.

Wir kämpfen für selbstverwaltete Wohn- und Freiräume, weil wir davon überzeugt sind, dass schönes und gemeinschaftliches Wohnen jedem Menschen zusteht – unabhängig von seinem Einkommen oder seiner Herkunft. Eine mögliche Unterbringung von Geflüchteten in der zukünftigen Grafi10 zeigt uns außerdem endlich den Weg für eine Einlösung des vom Oberbürgermeister torpedierten Versprechens vom sicheren Hafen Konstanz (https://www.seemoz.de/lokal_regional/kreis-konstanz-kein-sicherer-hafen/).

 


Pressemitteilung der Grafi10 vom 18.07.2020

Markgrafenstraße 10 in Konstanz besetzt!
In den frühen Morgenstunden des 18. Juli 2020 wurde das seit mindestens 5 Jahre
leerstehende Reihenhaus in der Markgrafenstrasse 10 in Konstanz besetzt. Die neuen
Bewohner*innen wollen damit zum Ausdruck bringen, dass sie immer weiter steigende
Mieten und zunehmende Verdrängung nicht hinnehmen wollen.
Das Haus bietet eine Menge Wohnraum und Platz zum Zusammenkommen.
Der vermeintliche Eigentümer K.-H. Schaffheulte, der zuletzt noch ein Büro im Erdgeschoss betrieb, lässt das Haus jedoch seit Jahren verfallen. Das ist nicht nur den Besetzer*innen
oder der Stadt, sondern auch den Anwohner*innen ein Dorn im Auge. Durch den Verfall
werden nämlich auch die Nachbarhäuser in Mitleidenschaft gezogen, da beispielsweise
Wasser aus dem überschwemmten Keller zu ihnen herüber läuft. Obwohl die Stadt des
Öfteren Bußgelder wegen des Leerstandes verhängte, führte dies nicht dazu, dass der
Eigentümer das Gebäude wieder als Wohnraum zur Verfügung stellt.
So Lisa, eine der Hausbesetzer*innen:
“Insbesondere in einer Stadt, in der kaum günstiger Wohnraum zur Verfügung steht
und die mit die höchsten Mietpreise in ganz Deutschland hat, finden wir so etwas nicht
akzeptabel. Da die Stadt nicht fähig zu sein scheint etwas gegen den Leerstand, trotz
Wohnungsknappheit, zu unternehmen, haben wir beschlossen hier selbst aktiv zu wer-
den.”
Markus, einer der neuen Bewohner*innen erklärt:
“Wir sind gekommen um zu bleiben! Im Erdgeschoss wollen wir ein offenes, solidarisches
und selbstverwaltetes Café mit einem Infoladen schaffen. In den oberen Räumen sollen
Wohnbereiche für alle Menschen, die sich dem Mietwahnsinn entziehen wollen oder es
sich nicht leisten können, entstehen.”
Die Besetzer*innen wollen das Haus wieder instand(be)setzen und interessierten Men-
schen ein alternatives Leben in der Stadt Konstanz ermöglichen. Sie fordern, dass das
Haus wieder als Wohnraum genutzt werden kann und die Stadt Konstanz das Projekt
unterstützt, fördert und sich klar gegen den Leerstand positioniert. Zudem ist jede*r
eingeladen, vorbeizukommen, mitzumachen und sich gegen die steigenden Mieten zur
Wehr zu setzen!
Auf der Website gibt es weitere aktuelle Informationen: grafi.noblogs.org
Kontakt: grafi10@riseup.net